Karin Sang traf den Yin Yoga & Yoga Philosophie Lehrer Bernie Clark im Sommer 2013 auf einem Yin Yoga Teacher Training mit Paul & Suzee Grilley im "The Land of Medicine Buddha" in Kalifornien und nahm die Gelegenheit wahr, mit ihm über seinen Yogaweg zu sprechen.
K: Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst für dieses Interview. Wie würdest du deine Reise mit Yoga beschreiben?
B: Das ist eine große Frage! (lacht)
K: Ja, ne? (beide lachen)
B: Zu der Zeit wusste ich es noch nicht, aber ich startete meine Yogareise in meinen frühen Zwanzigern als ich mit Meditation begann. Mein Job war sehr stressig, und ich fragte meinen Manager wie er mit diesem Stress umging, und er sagte, dass er meditierte. So begann ich Zen Meditation zu praktizieren.
Erst mit Mitte vierzig trat ich dem Zenzentrum bei und studierte mit Asanga. Es war nicht nur ein Zen-, sondern auch gleichzeitig ein Yogazentrum. Die Leiterin sagte mir, ich solle Yoga ausprobieren, aber ich hatte zu dieser Zeit einen inneren Widerstand, u.a. weil ich all die jungen flexiblen Mädchen sah, die Yoga praktizierten. Damals hatte ich die Flexibilität eines Baums!
Aber eines Tages sagte sie die magischen Worte: "Yoga wird Deinem Golfspiel helfen!" Ich war ein Golfer, weil es sich für mich wie ein sehr meditatives Spiel anfühlte, also ein Zen Spiel. So dachte ich nach dem Ratschlag – na gut, dann probiere ich Yoga! Letztendlich war das mein Zugang zum physischen Yoga. Und jetzt? Ich spiele kein Golf, kein Hockey, kein Tennis mehr. Ich praktiziere nur noch Yoga. Wenn man es genau betrachtet, hat Yoga mein Golfspiel getötet. (lacht)
Das war der Zeitpunkt an dem ich Asanas zu meiner Yogapraxis hinzufügte.
Also wenn wir Yoga als Aufmerksamkeitspraxis und Meditation beschreiben, dann hat meine Yogareise Anfang zwanzig begonnen. Wenn wir Yoga als Asana Praxis beschreiben, dann praktiziere ich seit sechzehn bis siebzehn Jahren.
K: War der Zugang zur Asana Praxis über eine Hatha Yoga Klasse, also einer Yang Form des Yoga?
B: Ja, mein erste Yogalehrerin war ausgebildete Sivananda Lehrerin, die ihre eigene Philosophie entwickelt hatte. Also ja, Hatha Yoga. Zwei Jahre danach lernte ich Ashtanga Yoga kennen, und ich fühlte mich im Einklang mit dieser Praxis, sie war auf einer Wellenlänge mit meinem Charakter. Ich lernte Yoga in drei Ashtanga Lehrer Ausbildungen, praktizierte jeden Morgen Mysore Praxis an sechs Tagen in der Woche.
Nach fünf Jahren Ashtanga wurde ich auf Yin Yoga aufmerksam.
K: Wie wurdest du darauf aufmerksam?
B: Das war durch Zufall. Ich nahm zu der Zeit an einem fortgeschrittenen Thai Yoga Massage Training teil, und am letzten Tag gab unser Lehrer eine Yin Yoga Klasse. Niemand von uns hatte damals von Yin Yoga gehört. Das war 2003 - 2004. Ich liebte diese Yin Yoga Praxis. Eine großartige Erfahrung. Das war der letzte Tag des Trainings. Am nächsten Tag hatte ich noch einige Stunden bis zu meinem Flug nach Hause, und ich lief die Hauptstraße von Santa Barbara entlang, und ich sah einen kleinen Yogaladen. Ich ging hinein und sah ein VHS Video von Sarah Powers mit dem Namen Yin Yoga! Oh, dachte ich, das haben wir doch erst gestern praktiziert.
Ich kaufte das Video und praktizierte für drei Monate jeden Tag Yin Yoga. Ich hatte mich förmlich in die Praxis verliebt und fand heraus, dass es einen großen Einfluss auf meine Ashtanga Praxis hatte. Ich wurde schneller beweglicher als in meiner Yang Praxis. Daraufhin wollte ich unbedingt Sarah Powers kennen lernen. Sie sprach auf einer Konferenz in Seattle, nahe Vancouver wo ich lebe. So traf ich Sarah damals und durch Sarah wurde ich mit Paul (Grilley) bekannt und traf beide mehrere Male.
Yin Yoga wurde zu einer wichtigen Ergänzung zu meiner Yang Praxis.
K: Wie kamst du mit Pauls Sichtweise des individuellen Knochenbaus klar, und wie hat es deine Ashtanga Praxis beeinflusst? Bist du durch diese Periode gegangen wie viele von uns, in der wir sagen – "Oh mein Gott, wie soll ich jetzt praktizieren oder unterrichten?"
B: Pauls Lehre hat nicht unbedingt meine Praxis beeinflusst. Es gab mir definitiv die Erkenntnis, warum ich nicht sonderlich gut in Lotus sitzen konnte. Es lehrte mich definitiv die Unterscheidungskraft zwischen Spannung und Kompression.
Es hat nicht so sehr mein Alignment beeinflusst, aber es hat mir auf jeden Fall gezeigt, wann ich aufhören sollte zu pushen. Es war sehr gut, das zu wissen. Ich hätte wahrscheinlich gepusht und gepusht und mich letztendlich unnötigerweise verletzt.
Pauls Lehre des individuellen Knochenbaus hat aber definitiv mein Unterrichten beeinflusst, worauf ich achte oder hinweise in einer Klasse, z.B. sind die verschieden Optionen, die ich Praktizierenden anbiete in keiner Weise mehr dogmatisch.
Das Wissen um den individuellen Knochenbau veränderte auf jeden Fall den Aufmerksamkeitspunkt in einer Klasse, von, wie Paul es sagt: "Dem ästhetischen zum funktionellen Yoga."
K: Warst du ein Panda oder ein schwarzer Ritter?
B: Wahrscheinlich eher ein schwarzer Ritter. (lacht)
K: Ashtanga?
B: Ja. Ich erhole mich immer noch von Ashtanga. (beide lachen)
K: Ja, der schwarze Ritter kommt auch bei mir immer wieder nach oben, was aus meiner Zeit als Profitänzerin stammt. Ich war das pushen gewohnt. Es ist sehr einfach, nicht zu pushen in einer Umgebung wie hier – dem buddhistischen Zentrum, während einer Yin Yoga Ausbildung – aber sobald ich zuhause bin, in einer Yang Yoga Klasse, muss ich mich immer wieder daran erinnern, nicht zu pushen. Oder besser gesagt, es kommt immer darauf an, wer in der Klasse ist und wer der Lehrer ist. (lacht) Ich kämpfe immer noch damit.
Wie sieht deine Praxis jetzt aus?
B: In meinem Alter (59) merke ich, dass ich nicht mehr das machen kann, was ich einmal konnte. Ashtanga ist wirklich etwas für jüngere Leute. Als ich 50 Jahre alt wurde, musste ich mich aus Ashtanga zurückziehen. Ich praktiziere immer noch Ashtanga, jeden Monat oder zweiten Monat.
Ich praktiziere andere Übungen wie z.B. Dragon Dance (www.yinyoga.com/newsletter9_the_dragon_dance.php) der mir ein gutes Kardiotraining, also gute schweißtreibende Übungen gibt, was mir zuvor Ashtanga gegeben hatte. Diese Übungen sind leichter und zugänglicher in meinem Alter, weniger energisch, heftig und möglicherweise weniger verletzend.
Aber auch insgesamt habe ich jetzt weniger Yang Aktivität in meinem Leben. Wahrscheinlich hält sich das Verhältnis bei 50/50.
Woran ich derzeit sehr viel Spaß habe, ist spazieren zu gehen. Hügel hoch und runter spazieren für eine Stunde, ist eine wundervolle Arbeit für den Körper und danach eine Yin Praxis - herrlich. Die Hälfte der Zeit praktiziere ich Yin Yoga mit vorherigem Spazierengehen und die andere Hälfte einen Yang Flow.
K: Das ist was eine meiner ersten Yogalehrer sagte: Wenn du nur eine halbe Stunde jeden Tag spazieren gehst – wäre das großartig für den Körper.
B: Viele Studien haben gezeigt, dass Spazieren gehen, so gut ist wie ein Medikament zu verabreichen. Es kommt natürlich auf die Situation an, aber sehr oft wäre es wünschenswert wenn wir nur unseren Körper stimulieren würden, damit er sich selbst heilen kann mit seiner eigenen inneren Weisheit.
K: Was für eine Bedeutung hat Yin Yoga für dich?
B: Ich sage gerne, dass es die andere Hälfte ist. Yang ist großartig. Es hilft den Muskeln und dem Herzen. Wir brauchen die Flexibilität und Stärke. Yin Yoga ist mehr für die Stabilität, z.B. dem Verkürzen der Faszien entgegenzuwirken, was im Besonderen mit dem Altern auftritt.
Studien haben gezeigt, dass 42% der Versteifungen aus der Muskulatur kommen. Allerdings kommen 47% der Versteifungen aus den Faszien oder auch Bindegewebe genannt. Wenn also unser Ziel ist, die Beweglichkeit zu erhalten, dann sorgt Yang Yoga nur für weniger als die Hälfte und Yin Yoga sorgt für die andere Hälfte. Wir brauchen beides.
K: Gerade weil unsere Webseite und unsere Arbeit den Namen 'Yin Therapy' trägt, möchte ich Dich fragen, unabhängig von unseren Überzeugungen und Erfahrungen, was Du für die therapeutischen Qualitäten von Yin Yoga hältst?
B: Man kann das aus verschiedenen Modellrichtungen betrachten. Physische Vorteile, energetische Vorteile, mentale und emotionale Vorteile, spirituelle Vorteile... Yoga hilft uns in allen Bereichen. Dann kommt es darauf an, worauf ich meine Aufmerksamkeit richte.
Wo ist das Problem? Was möchte ich gerne „reparieren“? Yin Yoga kann allen Richtungen helfen. Oder wie David Williams (Ashtanga Lehrer) einmal sagte: "Yoga kann alles heilen, außer Probleme, die durch Yoga verursacht wurden.
(beide lachen)
Wenn Du zu viel von etwas gemacht hast in einer Yin Klasse, dann wird es offensichtlich nicht helfen. Wir müssen unsere Herangehensweise verändern. Wir müssen aufmerksam sein. Ich warne meine Studenten: Du musst Dein eigener Doktor sein!
Ein gutes Beispiel wurde mir von einem Arzt mit dem Namen Bruce Lipton gegeben, dem Autor des Buches – The Biologie of Beliefs (deutscher Titel - Intelligente Zellen).
Einer seiner Freunde, ein Mediziner, realisierte nach jahrelangen Gesprächen mit Bruce: "Weißt du, in den ganzen Jahren des Medizinstudiums und praktischen Studiensemestern hatte ich nie die Worte Gesundheit oder Heilung gehört."
Bruce fragte: "Was ist dann Dein Job?"
Er antwortete: "Mein Job ist es, den Lebensstil der Menschen beizubehalten. Menschen kommen zu mir mit den verschiedensten Krankheiten und ich erzähle Ihnen, dass wenn sie ihren Lebensstil umstellen, ihre Ernährung verändern, Sport in Ihren Alltag integrieren, sie sich selbst heilen werden. Menschen wollen das nicht hören. Sie wollen eine Pille, damit sie so weiterleben können wie bisher. Menschen habe es zumeist selbst in der Hand, sich zu heilen. Aber ein Doktor bist nicht Du! Ein Doktor ist ein Berater."
Lipton sagte auch: "Es gibt einen Unterschied zwischen einem Doktor und einem Piloten. Der Pilot hat eine riesige Checkliste, die er abarbeiten muss, bevor er von der Halteposition zum Startfeld losrollen darf. Ein Doktor hat ebenso eine lange Checkliste der Fragen, die er stellen sollte. Der Doktor allerdings hat höchstens zehn Minuten pro Patient."
Der Unterschied ist, der Pilot ist mit dir im Flugzeug! Der Doktor ist es nicht! Der Doktor kann so fürsorglich sein wie er will. Er ist nicht du.
Wäre es sein Sohn, würde er sicherlich mehr Zeit einplanen. Er würde sicherlich mehr Nachforschung betreiben, durch die Checkliste gehen wie ein Pilot, der mit dir im Flugzeug sitzt. Er würde versuchen diesen Flug so sicher zu machen wie nur möglich. Egal, wer dein Lehrer oder Doktor ist, es sind alle Teil eines Beraterteams, aber du fliegst das Flugzeug! Also trägst du auch die Verantwortung für deine eigene Gesundheit.
Yin Yoga kann dafür ein großartiges Werkzeug sein. Aber wir müssen aufmerksam sein.
Ist das, was ich tue zu viel? Ist das, was ich tue nicht genug? Lass dir von niemandem erzählen wie es sich anfühlt. Du bist der Pilot. Das ist das großartige an Yin Yoga, weil du so viel Zeit aufwendest, aufmerksam Deinen körperlichen Sinneswahrnehmungen zu folgen.
Im Yang Yoga bleibst du fünf bis zehn Atemzüge in einer Haltung. Im Yin Yoga bleibst du fünf Minuten in einer Haltung! Die Zeit gibt einem eine große Chance, die Wahrnehmung zu steigern: Was ist das hier? Sollte ich bleiben oder zurückgehen? Was ist die weise Entscheidung?
K: Woran arbeitest Du derzeit?
B: Ich habe verschiedene Projekte auf dem Weg.
Kurzfristig werden ich und mein Partner einen Workshop geben mit dem Namen - "Meditation revealed". Es ist ein 40 Stunden Meditationsworkshop mit Praxis und Theorie. Dieser Workshop baut ein Verständnis für die Historie und Wirkung der Meditationspraxis auf. Wie entwickelte sich Meditation? Wie wirkt sie auf eine Gruppe von Leuten und wie auf die andere? Das Hauptaugenmerk bleibt aber auf der Praxis, denn wir müssen es tun. Von einem Buch können wir eben auch nicht schwimmen lernen.
(beide lachen)
(Bernies aktueller Workshop- und Ausbildungsplan unter www.yinyoga.com/upcoming_events.php)
Ebenso in der kurzfristigen Planung beende ich gerade mein Buch, das im Januar 2014 herauskommen wird, "From the Gita to the Grail – Exploring Yoga Stories and Western Myths" (nur englisch erschienen). Es soll uns erklären, wie unsere (Land)Karten funktionieren, nach denen wir leben, die kulturellen (Land) Karten, z.B. von einem Kind das durch die Eltern ein gewisses Benimmmuster beigebracht bekommt und sich entwickelt, aber auch durch Schule und Gesellschaft trainiert wird.
Wir mögen es nicht realisieren, aber wir folgen diesen Karten. Wenn wir versuchen die Karten von Indien zu verstehen, dann hören und sehen wir mit den Ohren und Augen und dem Gehirn eines Westlers. Im Osten wird gesagt: Töte Dein Ego. Im Westen verstehen wir unter Ego etwas völlig anderes, wie es im Osten gemeint ist oder wie dieser Begriff im Osten gebraucht wird. Dieses Buch versucht, diese Unterschiede zu erklären, durch die Mythen und die Karten der östlichen und westlichen Welt, damit wir auf die Karten ein Licht scheinen lassen können, um sie zu benutzen.
Wenn wir erkennen, dass unsere Karten nicht hilfreich sind, werden wir vielleicht eine andere wählen. Vielleicht gibt es Dinge im Osten, die hilfreicher sind, aber vielleicht gibt es eben auch Dinge des Ostens, die wir nicht verstehen, weil wir nicht in einer östlichen Kultur aufgewachsen sind.
Dieses Buch wird in den nächsten Monaten herauskommen. (Anmerkung: Ist bereits erschienen http://www.amazon.de/From-Gita-Grail-Exploring-Stories/dp/1935628313)
Und ich bereite ein weiteres Buch vor, das vielleicht in zwei bis drei Jahren herauskommen wird mit dem Namen, "Your Body – Your Yoga". Dieses Buch wird mehr auf den funktionellen Aspekt eingehen und die Frage stellen:
Wie sollte unsere Yogapraxis aussehen?
Gibt es einen Grund sich auf Alignment zu konzentrieren?
Meine Philosophie: "Es gibt kein universelles Prinzip des Alignment. Es gibt Prinzipien des Alignment! Aber nur deine Prinzipien des Alignment!"
Was funktioniert für dich?
Ein Doktor wird dir vielleicht raten ein Aspirin für deine Kopfschmerzen einzunehmen. Das wird wahrscheinlich 90% der Menschen helfen. Aber für die anderen wird es zu einem Magengeschwür führen oder ein bestehendes verschlechtern. Selbst ein Medikament, so „einfach“ wie Aspirin, wird nicht für alle funktionieren. Wenn wir im Alignment sagen, dass die Füße nach vorne ausgerichtet sein müssen, dann wird auch dies nicht für alle Menschen passen. Vielleicht wird es für viele passen, aber nicht für alle.
Wie finden wir heraus wie unsere Karte, unser Yoga, sein sollte? Das kommt auf deinen Körper an!
K: Das muss ja ein riesiges Projekt sein, dieses umfassende Material der Variationen darzustellen.
B: Ja, es wird eine Menge Bilder geben
K: Kannst du mir bitte noch mehr über deine nächsten Workshops und Teacher Trainings erzählen?
B: Ich gebe derzeit fünf Yin Yoga Teacher Trainings im Jahr. (Alle Trainings und Workshops von Bernie Clark unter www.yinyoga.com/upcoming_events.php)
K: Alle in Vancouver, in Deiner Heimatstadt?
B: Oh ja. Ich bin genug gereist in meinem „früheren“ Leben. Ich mag es zuhause zu bleiben. Ich reise immer noch gelegentlich zu Urlaubszwecken oder wenn ich selbst Fortbildungen nehme. Ich reise allerdings nicht mehr zum Unterrichten.
Alle Teacher Trainings finden in Vancouver statt, fünf im Jahr, alle zwei bis drei Monate. Und ein Mal im Jahr gebe ich ein Retreat, nahe Vancouver, mit einer kleineren Gruppe von maximal 22 Personen. Die Teacher Trainings sind fünfzig Stunden lang, nicht ganz so intensiv wie Pauls. Aber sie sind ähnlich aufgebaut wie mein letztes Buch – "The complete guide to yin yoga".
Erst geht es um die Fragestellung: Warum möchten wir Yin Yoga praktizieren? Und wir schauen hier auf die Vorteile der Praxis, physisch, mental, emotional und energetisch. Dann: Wie praktizieren wir Yin Yoga? Welche Asanas gibt es? Wie bewegen wir uns in eine Asana, wobei sollte man und wer sollte vorsichtig sein? Kontraindikationen? Was sind die Variationsmöglichkeiten etc..? Am Ende: Die Studenten unterrichten sich gegenseitig. Auch aus dem einfachen Grund, weil es eine Lehrer Ausbildung ist.
K: Was denkst Du über die Aussage, dass Stress der Hauptauslöser für Krankheiten ist?
B: Ich mag in diesem Zusammenhang über das Goldlöckchen Prinzip sprechen. Wenn du dich an die Geschichte von Goldlöckchen erinnerst, fand sie drei Schüsseln mit Brei. Papa Bärs Brei war zu heiß, Mama Bärs war zu kalt und Baby Bärs war genau richtig. Beim Stuhl genau dasselbe. Papa Bärs war zu hart, Mama Bärs war zu weich und Baby Bärs war genau richtig. Dasselbe mit dem Bett. Wir können von allem zu viel machen. Wir können unserem Körper zu viel Stress zufügen, mit Yang Yoga, mit Yin Yoga, auf der Arbeit etc... Wir können definitiv dem Körper zu viel Stress zufügen. Die Alternative wäre dem Körper keinen Stress zuzufügen und zu weit in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Kein Stress führt zu Degeneration oder Verkümmerung.
Leben braucht Stress. Aber wir brauchen die Goldlöckchen Position, wo es weder zu viel noch zu wenig Stress gibt.
K: Und das bezieht sich ebenso auf mentalen Stress?
B: Das bezieht sich auf Stress auf allen Ebenen. Im Yoga denken wir an den physischen Stress. Aber dieses Prinzip betrifft ebenfalls z.B. das Immunsystem. Ein Freund von mir, ein Doktor, arbeitet mit Krebspatienten, und er erzählte mir von einer Studie die besagte, dass Krebspatienten keine Erkältungen bekommen. Ich sagte: "Das ist aber interessant. Sobald sie Krebs haben, bekommen sie keine Erkältungen mehr?"
Er antwortete: "Nein, nein, bevor sie Krebs bekommen, hatten diese Patienten im Schnitt vier Jahre lang keine Erkältungen."
Eine Erkältung ist Mutter Naturs Weg, das Immunsystem unter Stress zu setzen. Wir trainieren unser Immunsystem ein bis zwei Mal im Jahr, wenn wir eine Erkältung bekämpfen.
Zu dem Zeitpunkt als er mir das erzählte, hatte ich für vier Jahre keine Erkältung mehr gehabt. Und ich dachte zu dieser Zeit ich hätte ein großartiges Immunsystem. Jetzt allerdings dachte ich, dass ich an Krebs sterben werde. (beide lachen) Sechs Monate später bekam ich eine Erkältung und ich dachte – YES - endlich! (beide lachen) Das veränderte meine Sichtweise auf eine einfache Erkältung.
Anstatt viele Medikamente zu nehmen und zur Arbeit zu gehen, lege ich mich nun ins Bett und schaue "Herr der Ringe" und lass den Körper mit der Erkältung umgehen. Mein Immunsystem heizt mich auf, und ich lasse es trainieren. Wir brauchen das.
Beziehungen brauchen ebenfalls Training. Wenn Du jemanden kennst, der mit derselben Person für vierzig Jahre verheiratet ist, dann wirst Du feststellen oder sie werden es Dir erzählen, dass sie durch sehr viel Stress zusammen gegangen sind. Aber sie wissen ebenfalls wie man sich ausruht. (beide lachen) Eine Beziehung braucht beides – Stress und Ruhe.
Das Goldlöckchen Prinzip bezieht sich auf alle Fassetten des Lebens.
K: Die nächste Frage war eigentlich gar nicht auf der Liste. (schmunzelt) Was warst Du in Deinem früheren Leben?
B: (lacht) Ich war in der Geschäftswelt. Ich war im Exekutiv-Team von der größten und ältesten kanadischen Firma für Hightech und Raumfahrt. Meinen Abschluss habe ich in Physik, also einen wissenschaftlichen Abschluss. Obwohl ich nie als Wissenschaftler tätig war, arbeiteten in dieser Zeit viele Wissenschaftler und Ingenieure unter meiner Leitung. Damals leitete ich die Abteilung für Raumfahrt und Verteidigung. Wir waren nicht so bekannt außerhalb von Kanada, aber in Kanada waren wir berühmt für den Canadarm, der auf dem Shuttle sitzt.
(Laut Wiki: Das Remote Manipulator System (RMS), auch als Canadarm bezeichnet, ist ein elektromechanischer Arm an Bord des Space Shuttle, der Nutzlasten ergreifen, sie aus der Ladebucht aussetzen und darin verankern kann. Der RMS wurde erstmals bei der zweiten Shuttle-Mission (STS-2) 1981 erprobt.)
Ich hatte ständig mit Wissenschaftlern der Raketentechnik zu tun, alles sehr kluge Leute. Diese Zusammenarbeit war sehr stimulierend für den Intellekt. Gerade weil ich immer ein Interesse und Antrieb für die Wissenschaft hatte. Schon als ich aufwuchs war ich ein Nerd, ein Computerfreak im Computerclub. Es war immer von großem Interesse für mich, zu verstehen wie das Universum funktioniert. Egal ob es sich um Biologie, Chemie oder Physik handelte. Ich war immer getrieben von dem Versuch, zu verstehen wie die Dinge funktionieren. Für den ersten Teil meiner Karriere ging es also hauptsächlich darum, wie Dinge funktionieren. Die Wissenschaft.
Ab dem Zeitpunkt als ich zum Management wechselte, wurde ich vertrauter mit Philosophie und Psychologie. Und hier ging es eher um die Frage: Warum funktionieren die Dinge?
Ab dem Zeitpunkt als ich mich mehr und mehr in meine Zen Praxis vertiefte, wurde mir bewusst: Es ist nicht wichtig wie Dinge funktionieren oder warum sie funktionieren, es ist wichtig, dass sie funktionieren. (beide lachen) Und das nimmt einen gewaltigen Druck und Stress von den Schultern. Und das ist Yin: das einfache Akzeptieren der Dinge. Es ist wie es ist.
K: Das was du sagst, macht Sinn im Zusammenhang mit deiner Herangehensweise an Yin Yoga oder dein Buch - "The complete guide to yin yoga". Gerade das Buch ist randvoll mit wissenschaftlichen Fakten, und sehr wohl, wie ich finde, erklärt es sehr viel, wie Dinge funktionieren.
B: Ja, ich mag es, die Brücke zwischen dem Westen und Osten zu bauen. Ich war als Jugendlicher nicht auf derselben Wellenlänge mit vielen der poetischen Erklärungen der östlichen Weisheiten, und ich kratzte mich oft am Kopf und fragte mich, wie das Gelesene wahr sein könnte. Und da es keine logische Antwort darauf gab, lehnte ich es ab und schob es beiseite.
Später kam ich zurück zu diesen Dingen und nun konnte ich sehen wie einige der poetischen Erklärungen einfach (Land)Karten waren. Es gibt den Begriff 'Psychonauten'. Psychonauten erforschen den inneren Raum, das innere Weltall, wie Kosmonauten den äußeren Raum, den Kosmos erkunden. Diese ersten Psychonauten, wie z.B. die Rishis und Yogis, gingen nach innen und machten eine Erfahrung. Wenn sie aus dieser Erfahrung zurückkamen, versuchten sie, diese in Worten zu beschreiben. Sie kreierten eine Karte. Die Wissenschaftler kreieren ebenso Karten, damit die nächsten Wissenschaftler dieselben Experimente durchführen und zu den gleichen Ergebnissen kommen können.
Im Westen benutzen wir die technische Sprache, wohingegen im Osten die poetische Sprache gebraucht wurde. Für jemanden aus der westlichen Welt, der sich eine poetische, östliche Karte von einem Taoisten oder Inder anschaut, würde diese Sprache wahrscheinlich nicht mit seinen eigenen Erfahrungen in Einklang bringen können. Ein Einstein schaute sich beide Karten an und sagte darüber, dass beide dasselbe beschreiben.
Wenn wir die östlichen Erklärungen aus einem anderen Blickwinkel betrachten, können wir sie vielleicht verstehen und sehen, was diese Psychonauten erfahren haben. Wir versuchen u.a. im Buch zu erklären, was die Psychonauten erfahren haben, übersetzt in den Worten einer westlichen Karte und dessen Verständnis.
K: Wir kommen zur letzten Frage: Du bist wieder am Anfang angekommen, nicht ganz, denn du hast mit Sarah begonnen. Aber was hat dich dazu bewegt oder zurückgebracht, noch ein weiteres Training mit Paul zu machen?
B: Es ist die Nachforschung für mein neues Projekt – "Your Body, your Yoga".
Bei der Konzeption des Buches, realisierte ich, dass ich ein Verständnis habe für Anatomie. Aber was Paul hat, ist eine Mühelosigkeit, die Implikationen zu erklären, welche die individuelle Anatomie des Einzelnen auf dessen Yoga hat. Das Wissen oder der Fakt, dass deine Tibia (Schienbein) länger oder kürzer ist als dein Femurknochen (Oberschenkelknochen) ist schön, aber was macht das mit deiner Yogapraxis? Paul hat so viel Erfahrung, Menschen bei einer Praxis zu beobachten, dass es ihm leicht fällt zu sagen:
Kein Wunder, dass diese Person diese Pose nicht ausführen kann. Schau auf seine Anatomie. Und keine Yogaform wird das ändern. Keine Yogaform wird die Tibia dieser Person auseinander ziehen bzw. verlängern oder den Femurknochen zusammenziehen.
Es geht für mich in diesem Training darum neue Wege zu finden die Implikationen unseres anatomisch einzigartigen, individuellen Knochenbaus für unsere Yogapraxis zu verstehen.
K: Vielen Dank dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Ich freue mich schon sehr auf deine neuen Bücher!
Für mehr Informationen über Bernie Clark und Yin Yoga: www.yinyoga.com
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